Sonntag
02
Oktober
Lesung, 16:00 Uhr
„Hoffentlich ist alles gut so“
Humanistisches Zentrum Stuttgart
Lesung: „Hoffentlich ist alles gut so“
Eine ungeliebte Liebe im Herbst: Paula Modersohn-Becker und Rainer Maria Rilke, die Geschichte einer Malerin und eines Dichters mit Blanche Kommerell.
Paula Modersohn-Becker (* 8. Februar 1876, † 20. November 1907) war eine deutsche Malerin und eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus, die in ihren Werken die bedeutendsten Aspekte der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in sich vereinte. In ihre Verlobungszeit mit dem in der Worpsweder Künstlerkolonie lebenden Maler Otto Modersohn fällt auch die Bekanntschaft mit dem Dichter Rainer Maria Rilke, der zu Besuch in Worpswede war und hier seine spätere Ehefrau, die Bilderhauerin und Malerin Clara Westhoff kennenlernte.
In seinen Tagebüchern nannte er die beiden Freundinnen „die blonde Malerin und die Dunkle, um die immer Handlung, Bewegung und Erzählung war“. Beiden Frauen war er eng verbunden. Während er in Clara Westhoff jedoch sehr stark auch die Künstlerin sah, erlebte er Paula Becker vor allem als ernste Freundin und widmete ihr ein Gedicht, das später in seinem Buch der Bilder erscheinen sollte:
„Du blasses Kind, an jedem Abend soll der Sänger dunkel stehn vor deinen Dingen“.
In seiner Monografie über die Worpsweder Maler erwähnt Rilke Paula Modersohn-Becker jedoch nicht, und bei Rodin führte er sie kurz darauf als Ehefrau eines berühmten Malers ein. Die Malerin Paula Modersohn-Becker, die im Urteil heutiger Kunsthistoriker das Werk ihres Mannes weit überstrahlt, nahm Rilke erst kurz vor ihrem Tod als Künstlerin wahr. Die Heirat mit Otto Modersohn hatte Paula Modersohn-Becker von dem Zwang befreit, einem ungeliebten Beruf nachgehen zu müssen, um für ihren Unterhalt zu sorgen.
Während Modersohn in seinen Tagebüchern festhielt, dass die Ehe schöner verlaufe als er je geglaubt hätte, finden sich in den Tagebucheinträgen von Ostern 1902 bei Paula Modersohn-Becker Anzeichen einer kritischeren Haltung – wenn sie diese auch mit Selbstironie kontrastiert:
„Es ist meine Erfahrung, dass die Ehe nicht glücklicher macht. Sie nimmt die Illusion, die vorher das ganze Wesen trug, dass es eine Schwesterseele gäbe. Man fühlt in der Ehe doppelt das Unverstandensein, weil das ganze
frühere Leben darauf hinausging, ein Wesen zu finden, das versteht … Dies schreibe ich in mein Küchenhaushaltebuch am Ostersonntag 1902, sitze in meiner Küche und koche Kalbsbraten.“
Anders als ihr Mann, der die Stille und Zurückgezogenheit von Worpswede brauchte, um sich künstlerisch zu entfalten, schätzte Paula Modersohn- Becker den Kontakt und die Abwechslung.
„Paula kann einfach nicht so schlicht, nüchtern leben. Solch anregendes Leben ist ihr wie der Blume die Sonne notwendig – sie verkümmert, verbittert sonst.[…] Meine einzige Paula, die so sehr künstlerisch ist und so sehr Lebenskünstlerin. […] Paula ist ja allen so sehr überlegen.“[7]
Am 23. Februar 1906 verließ Paula Moder sohn-Becker Worpswede. Im Tagebuch hielt sie fest, dass sie mit diesem Schritt Otto Modersohn verlassen habe, dieser unterstützte seine Frau jedoch weiterhin finanziell.
Rilke ermutigte sie in ihrem Wunsch, Worpswede und damit ihren Mann zu verlassen. Um sie zu unterstützen, erwarb er von ihr das Gemälde „Säugling mit der Hand der Mutter“. Er riet ihr wenig später auch, ihre Gemälde doch auf verschiedenen Pariser Ausstellungen zu zeigen Für Paula Modersohn-Becker, die bislang lediglich von ihrem Mann Unterstützung in ihrem künstlerischen Weg gefunden hatte, hatte dieses Urteil sehr großes Gewicht:
„Sie haben mir Wunderbarstes gegeben. Sie haben mich selber mir gegeben. Ich habe Mut bekommen. Mein Mut stand immer hinter verrammelten Toren und wußte nicht aus noch ein. Sie haben die Tore geöffnet.
Sie sind mir ein großer Geber. Ich fange jetzt auch an zu glauben, dass etwas aus mir wird.
Und wenn ich das bedenke, dann kommen mir die Tränen der Seligkeit … Sie haben mir so wohl getan. Ich war ein bisschen einsam“
(Brief an Rilke vom 5. Mai 1906).