Rundschau 03__2025
Humanistische Rundschau 02__2025



Menschenrechte beginnen vor unserer Haustür

Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in Paris verkündet. Ein großer Moment der Menschheit, ein Fest der Würde – und ein Dokument, das so oft bemüht wird wie selten verstanden. Denn Menschenrechte sind kein prunkvoller Staatsakt, sie sind kein „Besitz“ von Regierungen, sie sind viel kleiner – und gerade deshalb viel größer.

Eleanor Roosevelt, einst Vorsitzende der UN-Menschenrechtskonvention und entscheidende Kraft bei der Anfertigung der Charta von 1948, brachte es wunderbar auf den Punkt:

„Wo beginnen Menschenrechte? In kleinen Orten, ganz in der Nähe – so nah und so klein, dass die Orte auf keiner Landkarte der Welt gesehen werden können. Dennoch bedeuten sie die Welt für jede einzelne Person: die Nachbarschaft, in der wir leben; die Schule oder Hochschule, die wir besuchen; die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, wo wir arbeiten.“ (Eleanor Roosevelt)

Menschenrechte sind also keine abstrakte Idee in goldenen Rahmen, sondern der Alltag zwischen Haustür und Supermarktkasse. Sie sind die Gespräche, die Blicke, das „Wie reden wir eigentlich miteinander?“. Sie sind das „Ich sehe dich!“, besonders dann, wenn andere wegsehen.
Menschenrechte sind, Roosevelts Worten folgend, die Sichtbarwerdung dessen, was eine Menschheit auszeichnet. Die Bewahrung und Ausübung der Menschenrechte können für Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Milieus „die Welt“ bedeuten, denn grundsätzliche Pfeiler menschlichen Daseins sind einfach nicht verhandelbar. Das macht auch schon der Artikel 1 der Menschenrechte umfassend deutlich:

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität begegnen.“


Hier wird niemand exkludiert, hier werden alle Menschen gleichsam angesprochen, gleiches wird Ihnen angediehen, gleiches Ihnen von Geburt an zugetraut. Aber auch dies: gleiches wird von ihnen verlangt. Der Appell, der den Menschenrechten innewohnt, ist an jeden Menschen gleichermaßen gerichtet. Und so ist es nur folgerichtig, wenn ihm vor der eigenen Haustür gefolgt wird: im Hier und Jetzt – und im Konkreten.

Was bedeutet das für uns als Humanist*innen?

Als Humanist*innen glauben wir daran, dass der Mensch nicht nur zufällig aufrecht geht – er soll auch aufrecht handeln. Und das beginnt dort, wo wir Ungerechtigkeit erblicken. Wenn jemand bedroht, ausgeschlossen, verspottet wird – und wir trotzdem schweigen –, dann geben wir im Stillen Beifall. Und stille Zustimmung ist die kleine Schwester großer Grausamkeit.
Natürlich: Es ist nicht immer bequem, den Mund aufzumachen. Manchmal wäre es viel angenehmer, sich hinter den Gemüsetresen zu ducken und zu hoffen, dass die blöde Bemerkung über „die da“ gleich vorbei ist. Aber Humanismus bedeutet: Wir erheben die Stimme, damit andere nicht verstummen müssen.
Und wo wir schon beim Sprechen sind: Meinungsfreiheit ist ein wunderbares Gut. Sie schützt das mutige Wort, das leise Wort und das unbequeme Wort. Aber – und das ist ein großes Humanisten-Aber – Meinungsfreiheit verpflichtet auch zur Verantwortung. Wer Menschen herabwürdigt, wer Hass säht, wer Rassismus in Parolen kleidet, ruft nicht seine Freiheit aus, sondern missbraucht sie. Hass ist keine Meinung. Punkt.

Bleibt die Frage: Wie schützen wir, was uns heilig ist? Die Antwort klingt friedlich – und ist manchmal richtig anstrengend: Diplomatie statt Drohnen, Argumente statt Artillerie, menschliche Größe statt militärische. Für Menschenrechte zu kämpfen heißt eben nicht, neue Kriegshelden zu schmieden, sondern schützende Hände zu reichen und zu unterstützen.

Und nicht zuletzt: Die Erde ist unsere gemeinsame Wohnung. Manche behandeln sie wie ein Hotelzimmer – und vergessen, dass es keinen Room-Service gibt, der das Chaos anschließend wegfegt. Humanismus heißt auch, die Welt nicht nur zu benutzen, sondern zu bewahren. Für alle. Für morgen.

Menschenrechte beginnen im Kleinen – aber sie sterben auch im Kleinen. Mit jedem „Ach, das geht mich nichts an“. Und mit jedem „War doch nur ein Spaß“. In Wahrheit sind sie eine tägliche Aufgabe, gerne auch mit schmutziger Realität und schweißtreibender Zivilcourage.
Und vielleicht ist das die schönste Botschaft des 10. Dezember: Wir alle können etwas tun. Wir müssen nur damit anfangen, nicht auf der Landkarte, sondern in unserer Straße.
Und sollten uns hierzu Impulse oder Reize fehlen, verfügen wir über die Kraft und das Vermögen, immer wieder in die Nachbarschaft zu schauen, um zu sehen und zu lernen, wie Menschenrechte dort im Kleinen gelingen können. Eine soeben von Andrée Gerland getätigte Exkursion nach Brasilien hat ihn daran erinnert: es kostet nichts, den Mitmenschen häufiger mit einem Lächeln zu begegnen, egal, welche Sprache er spricht; es könnte natürlicher sein, das Gegenüber mit einer wärmenden Umarmung zu empfangen – auch wenn man sich noch nicht so gut kennt, aber man sich der Menschenliebe verpflichtet fühlt; und es ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den in Artikel 1 genannten „Geist der Solidarität“ entscheidend, immer wieder von Neuem über die Dimensionen der Inklusion nachzudenken: wie sie in komplexen Gesellschaften gelingen kann, was dafür grundlegend verändert werden muss, und wie man generell jedem Menschen zu seiner ihm zustehenden Stimme und Sichtbarkeit als Teil einer freien und gleichen Menschheit verhilft.

Zum Schluss ein Zitat, das wie eine freundliche Erinnerung klingt – oder wie eine letzte Warnung:

„Die Würde des Menschen ist antastbar – wenn wir nicht aufpassen.“
(Gerhard Uhlenbruck)

Passen wir also auf. Jeden Tag. In jedem kleinen Ort der Welt.

(Text von Christiane Herrmann, Landessprecherin der Humanistischen Gemeinschaft Hessen
sowie Andrée Gerland, Geschäftsführer der Humanisten Baden-Württemberg)





UNSER VORSTAND

 

Im Bild zu sehen:

Vordere Reihe: Anna Colletti, Isabelle Pichota (Mitglied bis Anfang 2025) und Holger Thorein
Hintere Reihe: Dr. Marcel Kronfeld, Stefan Fisahn, Nina Colletti, Dr. Norbert Röhrl und Stephan Kienle
Links im Bild: Geschäftsführer Andrée Gerland

Nicht im Bild, aber Vorstandsmitglied: Dr. Holger Brehm


DIE HUMANISTEN BADEN-WÜRTTEMBERG ...

 

... vertreten und pflegen eine humanistische Weltanschauung, die sich
an der Würde des Menschen orientiert und deren Ethik rational und säkular begründet wird.
Das Handeln der Mitglieder ist von der Absicht geleitet, dass die Menschen das Recht und
die Verantwortung haben, ihr Leben selbst zu bestimmen.

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Regionalgruppen des Landesverbandes:

 

Humanistischer Freidenker-Verband Ostwürttemberg

Gesundheitsvorsorge für den Notfall: Die Patientenverfügung

 

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